Der Autor, Künstler und Typograf Kurt Schwitters (Hannover 1887‒1948 Kendal) verfolgte als Dadaist in den 1920er und 1930er Jahren ein umfassendes Kunstkonzept, das er Merz nannte. Die Grundideen von Merz, welche die Basis und den Zusammenhalt von Schwitters' Gesamtwerk bilden, sind die Unabhängigkeit der Kunst von vorgegebenen Struktur- und Mediengrenzen und der Einsatz jeglichen 'fremden' Materials für die künstlerische Gestaltung. Schwitters' erklärtes Ziel war dabei das Merzgesamtkunstwerk: "MERZ, und nur MERZ ist befähigt, einmal, in einer noch unabschätzbaren Zukunft die ganze Welt zu einem gewaltigen Kunstwerk umzugestalten." (Schwitters in Merz 1, S. 8).
Zur Verwirklichung der MERZIDEE schuf sich Schwitters mit einer gleichnamigen Zeitschriftenreihe, die von 1923 bis 1932 erschien, eine multimediale Plattform, die ausschließlich seiner Vision gewidmet war. Der richtungsweisende Einfluss des Konzepts ist auch in der Benennung Schwitters' eigener 1924 gegründeter Werbeagentur Merzwerbe präsent, aus der die Gestaltung der Merz-Drucksachen hervorging.
Obwohl die Merzhefte ein einzigartiges Dokument der Zwischenkriegszeit darstellen, hat die struktursprengende Formen- und Themenvielfalt dazu geführt, dass sie bisher weder hinsichtlich ihrer publizistischen Organisation als Zeitschrift, noch ihre material- und kunstformenübergreifenden Beiträge vollständig untersucht worden sind. So will das Projekt einerseits die inhaltlichen, strukturellen und gestalterischen Besonderheiten von Merz interdisziplinär erforschen und die Reihe andererseits in das Gesamtwerk Schwitters' sowie in das komplexe avantgardistische Umfeld, auf das sie umfassend bezogen ist, einordnen. Zu diesem Zweck müssen überhaupt erst Begrifflichkeiten und Darstellungsmöglichkeiten entwickelt werden, die geeignet sind, das vielschichtige Material zu erfassen. Am Ende soll dem Benutzer eine Hybrid-Edition (Online- und Buchpublikation) mit Kommentaren, Begleittexten und umfangreichen Verweisstrukturen zur Verfügung stehen.
Sowohl die digitale Abbildung der Arbeitsabläufe innerhalb des Projektes als auch die Konzeption, Entwicklung und das Design der Onlinepräsentation berühren Fragestellungen aus dem Umfeld der Digital Humanities, weshalb das Trier Center for Digital Humanities (TCDH) integrativ an der Durchführung des Vorhabens beteiligt ist.
Für den Workflow erarbeitet das Trierer Kompetenzzentrum eine technische Infrastruktur, die im Wesentlichen auf der Arbeits-, Publikations- und Informationsplattform FuD (Forschungsnetzwerk und Datenbanksystem) basiert, die gemeinsam mit dem Forschungszentrum Europa (FZE) entwickelte wurde und jetzt im Hinblick auf die Erfordernisse des komplexen Untersuchungsgegenstand angepasst werden muss.
Wenn die relevanten Quellen und Informationen in diese virtuelle Forschungsumgebung eingespeist sind, können dort alle editorischen Arbeitsschritte kollaborativ durchgeführt werden. Das betrifft etwa die Inventarisierung der einzelnen Nummern der Reihe Merz, die semantische und typografische Erfassung der Text- und Bildelemente mit dem Transkriptionswerkzeug transcribo und die anschließende Sicherung der Transkripte, Kommentare und inhaltlichen Erschließungen in der FuD-Datenbank. Aus FuD heraus wird dann mit dem Textsatzsystem LaTeX eine Printausgabe und mit dem Content Management System TYPO3 eine geeignete graphische internetbasierte Benutzerschnittstelle aufgebaut, die den hohen Grad an Hypertextualität des Materials sichtbar macht und differenzierte Navigations- und Recherchemöglichkeiten bereitstellt.
Das Projekt "Kurt Schwitters' intermediale Netzwerke der Avantgarde ‒ Die Reihe Merz (1923‒1932) und Merz-Drucksachen" leistet damit nicht nur einen interdisziplinären Beitrag zur Schwitters-Forschung, sondern trägt zudem zur Erweiterung des literaturwissenschaftlichen Instrumentariums bei und zeigt Zukunftsperspektiven für den Bereich des elektronischen wissenschaftlichen Publizierens auf.
Siehe auch: Forschungsnetzwerk und Datenbanksystem (FuD), transcribo