August Wilhelm Schlegel (1767-1845) ist unter den Autoren der deutschsprachigen Romantik sowohl der vielseitigste als auch der am meisten unterschätzte. Trotz seines immensen Einflusses als Übersetzer, Literat, Kritiker und Gelehrter ist sein Werk nur unzureichend erschlossen und vergleichsweise wenig erforscht. Bis heute ist der Leser auf eine unvollständige Werkausgabe angewiesen, die Schlegels Weggefährte Eduard Böcking 1846ff postum edierte. Auch im Bereich der Briefedition, die meist nur aus Einzelkorrespondenzen besteht, klaffen gravierende Lücken. Genannte Defizite in der Erschließung seines Nachlasses bedingen wohl auch Schlegels Vernachlässigung in der Forschung. Dies ist umso bedauerlicher, als er eine für seine Zeit ungewöhnliche Öffnung über die Grenzen des deutschen Kulturraumes hinaus verkörpert und zu den zentralen Vermittlern zwischen den europäischen Kulturen zählen kann. Dem trägt jetzt ein langsam erwachendes Interesse an der Person Schlegels Rechnung, und er gerät immer häufiger in den Blick verschiedener kulturwissenschaftlicher und (wissens-)historischer Disziplinen, allen voran der Interkulturalitätsforschung.
Diesen Disziplinen nun eine verlässliche und weltweit nutzbare Materialgrundlage zur Verfügung zu stellen, ist Ziel der projektierten Briefedition. Sie zielt auf die Verzeichnung, Digitalisierung und Edition aller in Dresden und andernorts liegenden Briefe von und an Schlegel. Auf bisherige Forschungsergebnisse wird aufgebaut, die Datenbasis dabei erheblich erweitert. Zugleich wird eine Reformulierung des Begriffs ‚Europäische Romantik‘ angestrebt, was nicht zuletzt der Tatsache Rechnung tragen soll, dass Schlegel mehr als jeder andere deutschsprachige Romantiker lebenslang europaweit vernetzt war.
Die Edition greift zurück auf den seit dem 19. Jahrhundert an der SLUB Dresden befindlichen Nachlass Schlegels (1873 durch die Königliche Bibliothek Dresden erworben), der im Jahr 1998 durch Zukäufe aus Schweizer Privatbesitz vervollständigt werden konnte. Insgesamt umfasst der Bestand der SLUB Dresden 3200 Briefe, daneben liegen nochmals ca. 1000 Briefe verstreut in verschiedenen Sammlungen, mit etwa 300 weiteren Schlegel-Briefen, die bisher noch nicht erfasst wurden, ist außerdem zu rechnen. Insgesamt beläuft sich das Corpus also auf rund 4500 zugängliche Briefhandschriften, von denen etwa 2350 bereits gedruckt vorliegen. Die Hälfte der Briefe, ca. 2150, ist noch gänzlich unediert. Im Rahmen des Projektes sollen nun die in über 100 Publikationen des 19. und 20. Jahrhunderts verstreut gedruckten Briefe sowie der gesamte handschriftlich überlieferte Briefnachlass (Briefe von und an A.W. Schlegel) in einer digitalen Edition zusammengeführt, faksimiliert, transkribiert und im Volltext durchsuchbar gemacht werden.
An der SLUB Dresden werden zu diesem Zweck Imagedigitalisate der bisher gedruckt erschienenen Briefe (ca. 2350) und der Briefautographe angefertigt und über das lokale Katalogsystem zunächst als digitale Sammlung zur Verfügung gestellt. Das Corpus wird vervollständigt durch die an externen Institutionen beheimateten Briefen (ca. 1000), die entweder virtuell mit dem Dresdner Bestand verknüpft oder als Imagedatei in die Dresdner Sammlung integriert werden. Die fachwissenschaftliche Durchführung der Edition – zu der die Transkription, die biobibliographische Erschließung, die inhaltliche Textauszeichnung der Volltexte sowie die Registererstellung zählen – erfolgt dann an der Universität Marburg.
Das Trierer Kompetenzzentrum zeichnet für verschiedene Bereiche verantwortlich: Gemeinsam mit einem chinesischen Dienstleister werden die bereits gedruckt vorliegenden Briefe retrodigitalisiert und somit eine Teilgrundlage für die anschließend mögliche Volltextsuche geliefert. Ebenso fällt die Schulung der Marburger Mitarbeiter im Bereich XML und TEI sowie die Hilfestellung bei der Bedienung der Editionssoftware in den Zuständigkeitsbereich des Kompetenzzentrums. Wesentliches Aufgabenfeld wird aber die Bereitstellung der technischen Infrastruktur für die Arbeit an der Edition sein, die auf der gemeinsam mit dem Forschungszentrum Europa (FZE) entwickelten, integrierten Arbeits-, Publikations- und Informationsplattform „Forschungsnetzwerk und Datenbanksystem“ (FuD) basiert. Dabei wird es insbesondere um die Entwicklung von Schnittstellen gehen, die den Austausch mit eingeführten Softwaresystemen (etwa DFG-Viewer) sowie dem Katalogsystem der SLUB Dresden ermöglichen. Über diese Schnittstelle können die Images der gedruckten Briefen, die faksimilierten Autographen sowie weitere Daten in die Arbeitsumgebung von FuD importiert und hier im Zuge des Editionsprozesses weiterverarbeitet werden (Vereinheitlichung, Zuordnung, inhaltliche Erschließung). Darüber hinaus leistet FuD Unterstützung bei der Erfassung der Briefmetadaten, der Erstellung der Handschriftentranskriptionen, der inhaltlichen Verschlagwortung sowie der Vernetzung der Einzelbriefe zu Korrespondenzketten und bereitet derart die elektronische Online-Publikation vor. Die graphische Oberfläche für den Zugriff auf die Online-Sammlung sowie ein geplantes Vernetzungs-Modul zur Darstellung von Korrespondenz- und Themennetzen wird ebenfalls am Trierer Kompetenzzentrum entwickelt.
Nach 2 Jahren sollen zunächst sämtliche Imagedigitalisate der Autographe wie der gedruckten Briefe zur Verfügung stehen, letztere ergänzt durch den erfassten Volltext. Auch die Formalerschließung aller Briefe wird dann abgeschlossen sein. Über die von FuD bereitgestellten interaktiven Tools können bereits zu diesem Zeitpunkt ausgewählte Experten der internationalen Fachwissenschaft auf den editorischen Datenbestand zugreifen und an der Publikation mitarbeiten. Die vollständige Online-Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels wird dann voraussichtlich nach 3,5 Jahren für Anschlussforschungen aus denkbar vielfältigen Wissenschaftsbereichen zur Verfügung stehen.
Siehe auch: August Wilhelm Schlegel „Kritische Ausgabe der Vorlesungen“
Band IV-VI (Wiener und Bonner Vorlesungen), Arthur Schnitzler: Digitale historisch-kritische Edition, Heinrich-Heine-Portal – Ein intergriertes Informationssystem, Grabbe-Portal im Internet, Forschungsnetzwerk und Datenbanksystem (FuD)